Nur ein Alptraum


Erinnern Sie sich noch an die Monate der Coronapandemie? Ich hatte vor kurzem einen Traum über die Zeit.

Im Traum war ich Ende 2019 vor Ausbruch des Virus ins Koma gefallen und daraus erst Ende 2021 mitten in der Pandemie erwacht. Niemand erklärte mir irgendetwas. Nur bevor ich das Krankenhaus verlassen durfte, wurde mir eine seltsam aussehende Maske übergestülpt. Die Maske sah aus, wie die Masken, die eine Bekannte beim Abschleifen ihres Dielenfußbodens benutzt hatte. Ich war zu müde, um mich dagegen zu wehren, schließlich hatte ich fast zwei Jahre im Koma gelegen und hatte ganz andere Sorgen.

Als ich auf die Straße trat, liefen dort Leute mit Kuhglocken und Teile der Esoszene zusammen mit eher konservativ wirkenden BürgerInnen auf einer Demo am Krankenhaus vorbei und sangen vom Wassermannzeitalter.

Plötzlich nahm mich eine alte Freundin aus linken Zusammenhängen, Cora, die ich vorher nicht bemerkt hatte, zur Seite: "Die tragen alle keine Maske. Diese HeilpraktikerInnen und Kuhglockenbimmler sind alle Nazis."

Ich verstand nicht wirklich, was sie damit meinte und schaute sie in meinem Krankenhausnachthemd verwirrt an. Waren diese Kuhglocken geheime Schallwaffen. Da sie auch eine Maske trug, konnte ich nicht einschätzen, ob das vielleicht auch nur ironisch gemeint gewesen war.

"Die missbrauchen die Rede- und Pressefreiheit, um ihren Scheiß zu verbreiten. Ich hoffe, die Bullen räumen die ab."

Ich verstand nichts mehr, schließlich waren wir beide früher Mitglied anarchistischer Gruppen gewesen und die Polizei auf der Gegenseite. Und das war nicht alles, was sie sagte. Verfassungsschutz und Großkonzerne schienen aus ihrer Sicht nun die natürlichen Verbündeten für AnarchistInnen zu sein und das Ziel der Unterminierung des Staates ein eindeutiges Zeichen für eine faschistische Gesinnung. Außerdem hatte sich unter AnarchistInnen anscheinend eine Art körperliches Berührungsverbot ausgebildet. Zumindest wich Cora mir systematisch aus, vielleicht lag das aber auch an meinen Krankenhausnachthemd. Ein kalter Windhauch fuhr mir unter das dünne Hemd, mir wurde erst jetzt meine fast nicht existierende Bekleidung bewusst und ich wandte mich zu Cora: "Ich fühle mich etwas schutzlos." Cora blickte mich verständnislos an: "Wieso, du trägste doch eine Maske."

Aus irgendeinem Grund konnte ich mich mit Cora nicht verständigen. Nur eins wurde mir schnell klar, Cora rechnete sich zu den Guten, die erkannte man an den Masken.

Dann stand ich auf einmal eine anarchistische Fahne schwenkend an einer Kreuzung an der der Demonstrationszug vorbeizog, während PolizistInnen auf kleinere Gruppen von DemonstrantInnen einprügelten. Cora klatschte Beifall. Und AntiFa Mitglieder einer kleinen Gegendemonstration schrien: "Wir impfen euch alle!" Doch so schnell konnte ich gar nicht reagieren, wie das bei diesem Wandel erwartet wurde und die Fahnenstange brach beim Versuch, sie in den Wind zu drehen.

Ohne zu wissen, wie ich dahin gekommen war, stand ich gleich darauf abseits und eine andere frühere Freundin, die nun zu den Bösen gehörte, den MaskenverweigererInnen, zog mich Beiseite, um mir zuzuflüstern, dass die AntiFa gar nicht mehr aus Menschen bestünde, sondern aus AndroidInnen. Diese sogenannten AntiFa-Scholzomaten würden in einer geheimen Fabrik unter dem Hamburger Opernhaus produziert. Deswegen wäre der Bau auch so teuer geworden. Sie war fest davon überzeugt und überhaupt das Atlantic Council ... .

Den Rest verstand ich nicht mehr, da neben mir ein AntiFa-Scholzomat eine alte Frau ohne Maske anbrüllte: "Coronaleugner!" Die alte Frau sah ihn durchdringend an: "Coronaleugnerin heißt das."

Der Antifa-Scholzomat wiederholte noch mehrfach sein: "Coronaleugner!" Wenn dies tatsächlich Automaten waren, dann ließ die KI-Software zu wünschen übrig, ihre Ausdrucksfähigkeit schien in einer Art Endlosschleife gefangen zu sein. Aber wenn tatsächlich Bill Gates bei ihrer Konstruktion mitgewirkt und Microsoft diese AndroidInnen programmiert hatte, war das nicht wirklich überraschend. Die jetzt zu den Bösen gehörende Freundin schloss sich der Demonstration an. Ich hatte inzwischen begriffen, das ein Virus mit Namen Corona eine Pandemie ausgelöst hatte. Aber das Verhalten meiner alten Freundinnen war mir nach wie vor unbegreiflich.

Unvermittelt stand wieder Cora neben mir. Wieder redete sie auf mich ein. Die Folgen der Coronapolitik für den Trikont und die ärmeren Schichten der Bevölkerung in die Diskussion zu bringen, wie das einige DemonstrantInnen auf ihren Flyern taten, und darauf aufbauend die Maßnahmen zu kritisieren, war aus ihrer Sicht vollständig asozial, das war typischer Whataboutism. Wer das machte, hatte nach ihr nicht begriffen, was Solidarität bedeutet. Die Fahne brach schon wieder beim Versuch, sie in den Wind zu drehen, dabei hatte ich sie gerade erst geflickt. Und nur mit Krankenhausnachthemd auf der Straße zu stehen, wurde mir immer unangenehmer. Außerdem fühlte ich mich zunehmend fehl am Platz. Das musste ein Alptraum sein. Dies konnte nicht die Realität sein.

Zum Glück wachte ich in dem Moment auf. Erleichtert blickte ich zum Fenster. Draußen sang ein Vogel und die Sonne schien. Ich fühlte mich wirklich von einer Last befreit. Niemals würde Cora sich so verhalten. Nie würde sie so autoritätshörig agieren. Wie hatte ich nur diesen Unsinn träumen können. Was überhaupt war eine FFP2-Maske? Irgendwer im Traum hatte den Begriff benutzt, ich konnte mich aber nicht mehr erinnern, wer und wo. War das die Art Maske, wie sie mir im Traum übergestülpt worden war? Doch dann fiel mein Blick auf die FPP2-Maske, die auf dem Seitenschrank nicht weit entfernt lag, und mir fiel wieder alles ein, was die letzten zwei Jahre passiert war.
Früher habe ich nie an die Echsen geglaubt, aber inzwischen erscheint mir das die einzig logische Erklärung. Welche Echsen? Na die Echsen, die ohne das wir es bemerken, die Menschen übernehmen, wie im Film 'Die Körperfresser'. Oder haben sie eine andere Erklärung für das Verhalten großer Teile früher antiautoritärer Linker in den zwei Jahren der Pandemie?

Obwohl, vielleicht ist das ja doch nur ein Alptraum, ich sollte einfach wieder schlafen gehen, und wenn ich aufwache ist alles gut. Sicher habe ich nur zuviel Kakau getrunken.


Ada - Hannover, 2022 -


Fin











Impressum:




Die Weiterverbreitung, Nutzung und Spiegelung des Textes ist ausdrücklich erwünscht.
Der Text steht unter der Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ - This work is licensed under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License






















Zuletzt aktualisiert 30.07.2022





Nur ein Alptraum - Text über: Corona, Politik, Kritik, Linke, Querdenker, Coronademonstrationen, AntiFa, Verfassungsschutz, Anarchismus, Anarchie, Widerstand